Himmelsbestattung (Sky Burial)
von ANDREAS am 30. SEPTEMBER 2011
Himmelsbestattungen (Sky Burials) sind ein fester Bestandteil der tibetischen Kultur. Neben den Tibetern führen auch andere Volksgruppen, wie z.B. die Parsen in Indien, diese Form der Bestattung durch.
Himmelsbestattungen sind im Grunde aus der Not heraus geboren worden. In Ermangelung an Feuerholz zur Totenverbrennung bzw. permanent gefrorener Steinböden, die eine Beerdigung unmöglich machen, wird bei der Himmelsbestattung der Leichnam an Aasgeier verfüttert. Himmelsbestattungen finden öffentlich statt.
Für uns ist diese Form der Bestattung äußerst gewöhnungsbedürftig, hat sie doch mit einem respektvollen Umgang mit dem Toten nichts zu tun!
Hinweis: Der im Folgenden beschriebene Ablauf einer Himmelsbestattung, so, wie wir ihn erlebt haben, ist weder besonders appetitlich noch für schwächere Nerven besonders gut geeignet. Der Ablauf erschüttert unsere westlichen Wertvorstellungen in Bezug auf den Umgang mit Toten zutiefst.
Wir haben deshalb heftig darüber diskutiert, ob wir diese Beschreibung ins Internet stellen sollen. Letzlich haben wir uns dafür entschieden, weil Himmelsbestattungen an sich und damit auch die Durchführung für die betroffenen Menschen Teil Ihrer Alltagsrealität und damit etwas ganz Normales sind.
Damit sind sie ein Teil unserer Welt, so wie sie heute existiert. Wer diesen Teil der Welt nicht kennenlernen möchte, was jedem freigestellt ist, kann jetzt aufhören zu lesen und zurück zum verlinkten Reisebericht gehen!
Himmelsbestattungen werden in Litang ganz offen beworben, ähnlich den Totenverbrennungen in Varanasi in Indien. Es handelt sich dabei, wie schon beschrieben, um öffentliche Veranstaltungen. Auf mehrfaches Nachfragen unsererseits wird uns beteuert, dass wir dort nicht als störend empfunden werden, so lange wir uns in einem respektvollen Abstand bei den anderen Anwesenden, die keinesfalls alles Angehörige oder Trauernde sind, aufhalten.
Um 07.00 Uhr starten wir mit dem Taxi, der Fahrer weiß bescheid, um diese Uhrzeit fährt man hier entweder zur Busstation, die direkt nebenan liegt, oder zur Himmelsbestattung.
Wir werden vor einem sanft ansteigenden Hügel herausgelassen, an dessen Fuß bereits zahlreiche Menschen um wärmende Feuer versammelt sind. Auf dem Hügel sitzen etwa zehn Mönche und murmeln hörbar Gebete, davor liegt ein zusammengeschnürtes weißes Bündel in Menschengestalt.
Zunächst passiert nichts, wir warten mit den anderen Anwesenden. Auf unsere fragenden Blicke hin wird uns erklärt, dass man auf die noch fehlenden Aasgeier warte.
Erst im Nachhinein stellen Nico und ich fest, dass wir uns im Vorfeld keine Gedanken über die Bilder gemacht haben, die uns erwarten. Wir haben einmal in Afrika Aasgeier beim Fressen eines Kadavers gesehen, was vom Anblick her zwar wenig appetitlich, aber ansonsten eine recht friedliche Veranstaltung war.
Was wir nun erleben, haben wir jedoch mit Sicherheit nicht erwartet. Ein komplett in Plastiktüten eingepackter Mann schnürt das Bündel auf. Der Leichnam wird auf den Bauch gelegt und mit einem scharfen Messer fachgerecht zerschnitten. Weitere Personen stehen direkt daneben und sehen ihm bei der Arbeit zu. Die sich nähernden Aasgeier zerkleinern ihr Mahl keinesfalls selber, sondern der Leichnam wird regelrecht zerstückelt.
Zunächst werden Haut, Fleisch und Extremitäten vom Körper getrennt. Zwei Gruppen von Geiern streiten sich jeweils lautstark um einen Arm. Als sie die Arme zu weit weggeschleppt haben, werden diese wieder eingesammelt. Danach wird der Leichnam mit Hilfe einer Axt weiter zerteilt. Letztlich ist der tote Körper nur noch in Fragmenten als Mensch erkennbar, das Meiste sind nur noch Fleisch und Knochen.
Im nächsten Arbeitsschritt, der für uns besonders schwer zu begreifen ist, werden Knochen und Knorpelteile mit der flachen, als Hammer ausgebildeten, Rückseite der Axt auf einem Steinblock zerschmettert. Nun verstehen wir auch, warum sich der Mann in Plastiktüten gekleidet hat, es spritzt meterweit! Die zermatschten Teile werden den Geiern dann zugeworfen. Das Ganze ist Schwerstarbeit. Als wir nach etwa zwei Stunden den Rückweg antreten, ist der Mann immer noch mit dem Zerkleinern von Körperteilen beschäftigt.
Parallel zu diesem Leichnam wurden inzwischen die sterblichen Überreste eines Kindes auf den Hügel gelegt. Auch dieser Leichnam wird auf den Bauch gelegt, allerdings wurde die gesamte Haut bereits entfernt. Der Bestattungsplatz wurde etwas unglücklich hinter einem kleinen Bergkamm gewählt, so dass die Geier erst über eine längere Strecke angelockt werden müssen.
Dazu wird das gesamte Beinfleisch des Kindes in Streifen geschnitten und in ein Schälchen gelegt. Danach läuft der Bestatter mindestens 100 Meter weit zum Leichnam des anderen Toten und beginnt händeweise das Fleisch auf die Wiese zu werfen, um die Aufmerksamkeit der Geier zu gewinnen. Er legt dann regelrecht eine Spur aus, der die Geier zögerlich folgen.
Bis zu diesem Zeitpunkt unberührt, liegt noch ein weiterer Leichnam von weißen Tüchern bedeckt auf der Wiese.
Bei diesem Toten muss es sich um eine wichtigere Person handeln, denn vor dem Beginn der Bestattung kommen zwei Mönche im Geländewagen angefahren und verrichten, ohne besonderen Pathos, verschiedene Rituale.
Dieser Leichnam wird nach der Enthüllung ebenfalls auf den Bauch gelegt und zunächst an der Wirbelsäule entlang aufgeschnitten. Nach und nach werden alle fleischigeren Körperteile sehr strukturiert in Stücke geschnitten und vom Körper weggeklappt.
Das Ergebnis sieht, wenn man das so sagen darf, recht ästhetisch aus. Im Grunde ist der Leichnam sehr sauber filetiert worden. Andererseits ist die menschliche Gestalt noch sehr gut zu erkennen, was den Anblick für uns schwerer erträglich macht, als bei den anderen beiden Bestattungen.
In der Zwischenzeit sind zwei weitere Autos, darunter ein Kleinwagen, auf den Hügel gefahren. Aus beiden Autos werden in weiße Tücher gehüllte Verstorbene entladen. Danach beginnt auch bei diesen Leichnamen die Zerteilung mit einem Messer.
Nach zwei Stunden erkennen wir, dass die Beobachtung weiterer Bestattungen für uns zu keinen neuen Erkenntnissen führen wird - wir haben genug gesehen!
Offen bleibt für uns die Frage, ob 17 Geier in der Lage sind, alle fünf Bestatteten vollständig in den Himmel zu bringen und was gegebenenfalls mit den Resten geschieht, die nicht gefressen werden.
Wir laufen zurück nach Litang. Zu Beginn sind wir kaum in der Lage über das Gesehene zu sprechen. Zu tief sind die Eindrücke, zu fremd ist das, was wir gesehen haben und vor Allem ist es mit unseren Vorstellungen eines respektvollen Umgangs mit den sterblichen Überresten eines Menschen in keinster Weise zu vereinbaren. Wir stehen regelrecht unter Schock.
Im Laufe des Tages verarbeiten wir unser Erlebnis dann in mehreren Gesprächen, auch mit anderen Westlern. Was uns dabei hilft ist, dass unsere eigenen Wertvorstellungen bei einer Himmelsbestattung zwar massiv erschüttert werden, die Menschen hier dieses Vorgehen aber als einen völlig normalen, alltäglich stattfindenden Prozess betrachten. Diese Normalität konnten wir während der Bestattungen bei den Anwesenden auch spüren.
Besonders deutlich wird uns diese Normalität, als wir zum Abendessen bei "unserem" Chinesen, Mr. Zheng, einkehren. Mr. Zheng erzählt uns, dass er zwar kein Tibeter sei, aber die tibetische Kultur sehr liebe: "I love tibetan culture!" sagt er und "I love sky burial!".
Bei letzterer Bemerkung macht Mr. Zheng zur Untermalung seiner Aussage eine typische Handbewegung, die keinesfalls das poetische Emporsteigen der Seele in den Himmel zeigt und auch nicht das Schlagen von Flügeln.
Er beschreibt mit der Handkante die schnelle Bewegung eines Metzgers, der Spare-Ribs zerkleinert - Nicolas und ich sehen uns an - wir wissen was er meint!
Ergänzende Hintergrundinformationen
von ANDREAS am 16. NOVEMBER 2011
Mittlerweile haben wir mit mehreren Menschen über das Sky Burial gesprochen und Hintergrundinformationen über Sky Burials gewonnen, die wichtig für das Verständnis der obigen Beschreibung sind und die wir deshalb nicht vorenthalten wollen.
Nach dem Ableben wird der Leichnam einige Tage im Haus weiter symbolisch mit Essen versorgt. In dieser Zeit von drei bis fünf Tagen wird dem Toten von einem Lama aus dem Tibetischen Buch der Toten vorgelesen, um die Seele des Toten zum Verlassen des Körpers zu bewegen und diese zu überzeugen, nicht mehr in den Körper zurückzukehren.
Am Tag der Bestattung wird der Leichnam nach einer letzten Beschwörung des Lamas zum Bestattungsplatz gebracht, wo der Körper bestattet wird. Entscheidend für das Verständnis ist, dass die Seele den Körper bereits verlassen hat.
Bestattet wird also nicht der Mensch sondern lediglich die leere Hülle, die quasi "entsorgt" werden muss. Dieses Bild wird besonders deutlich in dem englischen Begriff "vulture disposal". Aus diesem Grund bereitet den Tibetern der beschriebene Umgang mit dem leeren Körper keine Schwierigkeiten.
Zerteilt wird der Körper von Leichenbestattern, den Ragyapas. Die Geier tragen nach tibetischer Vorstellung den Verstorbenen ins Bardo, einen Zustand zwischen dem Tod und der Wiedergeburt.