Tibet aus Sicht von Nicolas
von NICOLAS am 22. OKTOBER 2011
Ich müsste lügen wenn ich behaupten würde, dass wir keine besonders hohen Erwartungen an diesen Teil der Reise hatten. Wenn man an Tibet denkt kommen einem immer die selben Bilder in den Kopf: die „goldenen Dächer“ von Lhasa, die gigantischen Bergmassive des Himalayas, und die bösen Chinesen.
Unsere Reise wurde danach ausgerichtet, Tibet in der perfekten Jahreszeit zu erleben, da wir alle Angst hatten, eine schöne weiße Wolkenwand anstelle des Mt. Qomolangma, besser bekannt als Mt. Everest, zu sehen. Um es vorwegzunehmen, dieser Schachzug hat sich ausgezahlt und wir haben alles andere als eine Wolkenwand gesehen.
Dann hatten meine Eltern die Schnapsidee, dass jemand es vielleicht interessant finden könnte, aus der Sicht der Kinder etwas über Tibet zu erfahren. Somit wurden wir verdonnert, drei positive und drei negative Aspekte zu Tibet aufzuschreiben.
Obwohl Lhasa gerade einmal eine halbe Millionen Einwohner hat, ist es wohl trotzdem bekannter als Städte, die eine 20 Mal größere Bevölkerungszahl haben. Ihr Mythos ist dagegen unantastbar, wohl einer der größten weltweit. Trotzdem war ich enttäuscht.
Wenn man mit dem Zug ankommt, sieht man als Erstes den Potala Palace, der Alles überragt und verschiedene Tempel. Auf den zweiten Blick dominieren aber hauptsächlich moderne Fabrikgebäude und Baustellen. Die Menschen ausgeschlossen ist Lhasa eine eher überschaubare chinesische Stadt, die nichts Besonderes ist. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass es früher in dem beindruckenden Tal nur kleine flache Häuser gegeben hat. Die friedliche Ruhe, die man sich erhofft hat, findet man auf jeden Fall nicht. Lhasa ist nicht Tibet. Lhasa ist jetzt China. Die Menschen sind es aber noch lange nicht.
Nun zum zweiten und für mich Schlimmsten Punkt: tibetische Klöster. Der tibetische Buddhismus hat nicht viel mit dem thailändischen Buddhismus und dem in Myanmar gemeinsam. In Tibet prägen Geister, dunkle und stinkige Klöster und kauzige Mönche das Bild. Besonders schlimm waren die Gerüche.
In kleine Öfen wird eine Art Weihrauch gepackt - was nicht im geringsten danach riecht, wie wir Weihrauch kennen - und angezündet. Die Folge sind dicke schwarze Rauchwolken, durch die ich nur mit geschlossenen Augen und Luftanhalten gegangen bin, weil ich sonst wahrscheinlich an einer Rauvergiftung auf der Stelle tot umgefallen wäre.
Die andere Möglichkeit seinen Geruchssinn abzutöten, war das Anzünden von Yakbutter, da in jedem Raum im Kloster eine große Schale voll stinkender, brennender Butter stand und die Kleider danach noch mehrere Tage stanken. Darüber hinaus waren alle Klöster gleich. Es gab immer einen „Past-, Present- und Future-Buddha“, einen „Thousand Arms-, Thousand Eyes-Buddha“ und einen Mönch, der auf einem Haufen Geld hockte und seinen Reichtum bewunderte, der aus Spenden der Klosterbesucher hervorging.
Und jetzt zum Essen: ich weiß nicht, wie man sich tagein, tagaus nur von einer Mehlpampe namens Tsampa, ein bisschen Buttertee und Nudelsuppen ernähren kann. Somit wurden in dieser Zeit Cola und Reis zu unseren besten Freunden. Die einzige Überraschung war der Buttertee. Nach meinem ersten Schluck musste ich mich nicht, wie erwartet, übergeben, aber das heißt jetzt nicht, dass Wasser, Butter und Salz mein neues Lieblingsgetränk ist. Mein Vater ist da etwas anderer Meinung, denn er hat aus unerklärlichen Gründen den Buttertee lieben gelernt.
Aber es ist natürlich nicht alles schlecht in Tibet und stinkt.
Wie schon oben erwähnt ist Tibet vielleicht ein Teil Chinas, aber die Bevölkerung ist da ganz anderer Meinung. Die tiefe Gläubigkeit der gesamten Bevölkerung - und dabei ist es egal ob 80-jährige Omi oder 16 Jahre altes Mädchen in High-Heels und Trägertop - ist schlichtweg faszinierend. Überall sieht man Menschen mit Gebetsmühlen oder Leute, die um Tempel herumwandern.
Mitten in Lhasa werfen sich die Pilger, ungeachtet der vielen Touristen und des chinesischen Militärs auf die Erde und bewegen sich so durch die Gegend. Obwohl in Lhasa alle 100 Meter eine militärische Patrouille ging, ließen sich die Menschen nicht beirren und setzten ihren Weg fort. Ich glaube nicht, dass es irgendwo auf der Welt nochmals eine so tiefe Gläubigkeit gibt. Allein dies mitzubekommen, mitten in dieser Religiosität zu stecken, hat die Reise gerechtfertigt. Für mich eines der beeindruckendsten Erlebnisse, die ich bisher hatte.
Wenn wir schon beim Besten vom Besten sind mache ich gleich weiter: das Himalaya. Das Hochland von Tibet ist immerhin über 4.000 Meter hoch und man hat die wohl besten Blicke, die die Welt zu bieten hat. Die endlose Weite der „Grasslands“ und am Horizont erheben sich die gigantischen weißen Bergmassive der höchsten Berge der Erde.
An einem Morgen standen wir auf einem Pass und konnten dort sechs von 14 Achttausendern der Erde im Sonnenaufgang beobachten. Als Bonus war nirgends eine einzige Wolke in Sicht. Insgesamt kann man die Wolken, die wir in den zwei Wochen gesehen haben an einer Hand abzählen. Immer strahlend blauer Himmel und eine fast unnatürlich klare, reine Luft.
Außerdem war es mal eine überaus angenehme Erfahrung nicht ständig zu Schwitzen, wie sonst in Asien. In Tibet sind nur rund 20% Luftfeuchtigkeit und trotzdem sehr viel Sonne. Mir bekam das Klima auf jeden Fall deutlich besser als die Tropen. In der Nacht gab es auch mal Minustemperaturen und ich hätte einiges für eine Heizung gegeben.
Letztendlich war Tibet hoch interessant und wir haben unglaublich viel über die Menschen und die Kultur gelernt. Ich empfand es auch als ein Land der Extreme und denke nicht, dass uns einmal wirklich langweilig wurde. Es ist ein Land mit fantastischer Natur und einzigartigen Menschen, die mich mit ihrer tiefen Gläubigkeit sehr berührt und zum Nachdenken gebracht haben. Selbst die Chinesen haben nicht die Fähigkeit Menschen mit Gewalt und Brutalität zu verändern. Die große Einheit der Menschen, die durch die Religion verbunden sind, war ein Erlebnis, welches ich mein Leben lang in guter Erinnerung behalten werde.