Tibet: Auf dem Friendship-Highway von Lhasa nach Kathmandu
von HEIKE am 12. NOVEMBER 2011
Freitag, 07. Oktober 2011: Von Lhasa nach Tsedang
Heute geht es los Richtung Süden nach Nepal. Wir werden größtenteils auf dem Friendship-Highway fahren, einer Straßenverbindung zwischen Lhasa und der Freundschaftsbrücke an der Grenze zu Nepal. Auf der nepalesischen Seite führt die Straße weiter nach Kathmandu. Der chinesische Streckenabschnitt ist 829 Kilometer, der Nepalesische 114 Kilometer lang. Die Straße ist bis zu Grenze asphaltiert und durchweg in einem guten Zustand. Erstaunlich bei diesen extremen klimatischen Verhältnissen.
Da wir keine große Strecke vor uns haben, geht es erst um 09.30 Uhr los. Wir fahren nach Tsedang eine kleine Stadt östlich von Lhasa. Dort organisiert Tashi unser Permit für den Besuch des Klosters in Samye. Auf unserer Fahrt durch Tibet müssen wir immer wieder spezielle Permits besorgen. Während wir die Landschaft und die Klöster genießen, erledigt Tashi im Hintergrund jede Menge „Papierkram“. Die chinesischen Behörden wissen somit immer genau wo wir uns befinden. Es besteht somit kaum eine Möglichkeit von der geplanten Strecke abzuweichen.
Die Landschaft ist karg, trotzdem abwechslungsreich, denn Grassland, Felsen und Sanddünen wie in der Wüste wechseln sich ab. Nach fast zwei Stunden erreichen wir den Brahmaputra (Yarlung Tsangpo), einen der größten Flüsse Asiens. Dieser verästelte Fluss ist der höchstgelegene Schifffahrtsweg der Erde. Ich bin total erstaunt wie unglaublich breit der Brahmaputra hier in Tibet schon ist. Der Anblick ist einfach gigantisch, wie der riesige Fluss gemächlich durch diese unglaubliche Landschaft fließt.
Die Fahrt zum Kloster Samye folgt dem Flusslauf. Wir sind etwas spät dran, trotzdem stoppen wir ständig, um diese herrliche Stimmung in der schon etwas tiefstehenden Sonne einzufangen. Am späten Nachmittag erreichen wir das Kloster Samye, welches das älteste buddhistische Kloster in Tibet ist und im 7. Jahrhundert erbaut wurde. Auch dieses Kloster wird renoviert. Wir sehen und hören auf dem Dach einer Baustelle lauten rhythmischen Gesang und sehen einen Bautrupp aus jungen Frauen und Männern, die laut singen, um die harte Arbeit zu erleichtern.
Die Fahrt nach Tsedang, wo wir die Nacht verbringen werden, absolvieren wir in der Dämmerung.
Samstag, 08. Oktober 2011: Von Tsedang über den Yamdrok-Tso nach Gyantse
Für heute ist ein Tag ganz ohne Klosterbesichtigung vorgesehen. Wir sind happy, denn so können wir uns ganz auf die unglaubliche Landschaft entlang des Friendship-Highway konzentrieren.
Nach einem chinesischen Frühstück starten wir und erreichen schon bald den Kambala Pass (4.796 m). Von hier aus haben wir einen super Blick auf den türkisschimmernden Yamdrok See, einer von drei heiligen Seen Tibets. Kahle Ebenen, die Intensität des blauen Himmels und Reihen schneebedeckter Bergriesen bilden den imposanten Hintergrund. Es ist unser einziger Tag in Tibet mit Wolken am Himmel, die sich im Wasser spiegeln - gigantisch!
Diese wunderbare Natur ist aber stark bedroht, denn China baut am Yamdrok See das größte Wasserkraftwerk Tibets mit einer Kapazität von 90.000 kW. Der Wasserspiegel wird durch das Pumpspeicherwerk stark abgesenkt und man hat die Befürchtung, dass der Yamdrok See beim Vollbetrieb des Kraftwerkes in 20 Jahren leer wäre. Das ganze Ökosystem würde dann in dieser Gegend zerstört. Inzwischen wird zwar versucht, dass Wasser wieder hoch zu pumpen, aber auch die Auswirkungen dieser Maßnahme gelten als ökologisch zweifelhaft.
Vom Pass geht es hinunter zum See und dann fast 40 Kilometer immer am Ufer entlang. Die Nacht verbringen wir in Gyantse, einer Stadt, die noch nicht so sehr von der chinesischen Kultur beeinflusst wurde.
Sonntag, 09. Oktober 2011: Von Gyantse nach Shigatse
Morgens besuchen wir die größte Chörten (tibetische Stupa) Tibets, die Gyantse Kumbum. Dann geht es weiter, zum Kloster Shalu, das sich westlich von Shigatse befindet und schliesslich nach Shigatse, zum Kloster Tashilhunpo, dem Sitz des Penchen Lama, der die zweitwichtigste Autorität im tibetischen Buddhismus nach dem Dalai Lama ist.
Die Nacht verbringen wir in Shigatse, der zweitgrößten Stadt Tibets. Allerdings ist auch diese Stadt hauptsächlich chinesisch geprägt und überall befinden sich Baustellen. Neben unserem Hotel, dem "Mining Industry Hotel", ist ein Internet-Café mit mehr als 120 Computerplätzen. Wir sind froh kommunizieren zu können, checken und beantworten Emails.
Tage später wundern wir uns, dass wir auf diese Mails keine Antworten erhalten und erfahren, dass alle Emails, die wir in diesem Internetcafé versendet haben ihre Empfänger niemals erreicht haben, ohne dass wir eine Fehlermeldung bekommen haben.
Derartige Vorkommnisse sind uns aus den Erzählungen anderer Reisender in China bekannt. Auch die Sozialen Netzwerke, wie facebook und Xing, funktionieren in China nicht. Ebensowenig sind Landkarten von Tibet in Papierform oder im Internet verfügabr. Wenn Google gerade mal funktioniert und man "Tibet" als Suchbegriff eingibt, werden zwar Treffer angezeigt, die Links funktionieren jedoch überwiegend nicht. Kontrolle also in allen Bereichen ...
Montag, 10. Oktober 2011: Von Shigatse nach New Tingri (Shegar)
Heute haben wir eine etwas längere Fahrt vor uns. Wir besuchen das Kloster Sakya. Die Kinder und ich haben mittlerweile keine große Lust mehr, auch dieses Kloster ausführlich anzuschauen. Wir beschränken uns daher auf die wichtigsten Räume und genießen die herrliche Sonne. Andi ist dagegen voller Energie und erforscht das Kloster zusammen mit Tashi bis zum letzten Winkel. Er schließt sogar noch einen Spaziergang um das Kloster an.
Dann geht es nach New Tingri. Ursprünglich war geplant in der kleinen Stadt Lhatse zu übernachten, aber Tashi schlägt vor, bis nach New Tingri weiterzufahren. Wir wissen zunächst nicht, was der Hintergrund für diese Änderung ist.
Kurz vor New Tingri dreht er sich plötzlich zu uns um, zeigt auf einen Berg und erklärt uns, dies sei der Cho Oyu (8.201m). Ich stutze und überlege, dann müsste doch auch der Everest nicht mehr weit sein. Dann zählt Tashi plötzlich: “ten, nine, eight...“ und grinst dabei wie ein Honigkuchenpferd.
Bei „zero“ sehen wir in der Abendsonne den höchsten Berg der Welt!
Großes Freudengebrüll und lautes Klatschen im Auto. Wir freuen uns riesig. Ich werde diesen Moment niemals vergessen, schon als kleines Kind träumte ich davon einmal den Mt. Everest zu sehen. Wir steigen alle aus und genießen den ganz besonderen Augenblick!
Die Nacht verbringen wir in dem kleinen tibetischen Ort New Tingri (Shegar). Unser Hotel ist sehr einfach. Es gibt kein fließendes Wasser und die Toiletten sind nur ein Schlitz im Beton. Außerdem ist es ziemlich kalt und ich bin froh über meinen mitgebrachten Schlafsack. Trotz der fiesen Kälte würde ich gerne duschen, aber wir bekommen nur eine Thermoskanne mit heißem Wasser. Also heute keine Dusche! Tashi ist sowieso der Meinung, dass es in einer Höhe von über 4.000 Metern nicht gut ist zu duschen – ok, so soll es sein!
Dienstag, 11. Oktober 2011: Von New Tingri zum E.B.C. und nachts nach Old Tingri
Die Nacht ist wegen meines Schlafsacks und einer dicken Yakwoll-Decke einigermaßen warm. Wir stehen um 05.00 Uhr auf. Es ist stockdunkel und bitter kalt, immerhin sind wir hier auf rund 4.500 Metern Höhe. Wir haben jetzt alle unsere warmen Sachen an: Handschuhe, Mütze und Skiunterwäsche.
Das Frühstück wird auf Später verschoben, wir wollen schnell los. Nach eineinhalb Stunden Fahrt erreichen wir unser Ziel, den Gawu La Pass auf einer Höhe von 5.250 Metern. Bei Eiseskälte stehen wir auf der Passhöhe und schauen auf die im Dunklen liegenden weißen Bergriesen. Dann wird es langsam heller und wir erkennen ein gigantisches, unvergleichliches Bergpanorama mit sechs von 14 Achttausendern!
Als erster Gipfel wird die Spitze des Mt. Everest von der Sonne in ein glühendes Rot verwandelt. Danach folgen die anderen Achttausender - einer nach dem Anderen - es ist phantastisch! Wir sehen mit Mt. Everest (8.848m), Lhotse (8.516m), Makalu (8.463m), Cho Oyu (8.201m), Shishapangma (8.020m) und dem rund 300 Kilometer entfernten Kangchendzonga (8.586m) sechs Achttausender. Keine Wolke ist am Himmel. Wir stehen lange vor diesem einmaligen Panorama und wollen trotz der Kälte gar nicht weiterfahren. Für mich einer der absoluten Höhepunkte dieser Reise!
Tashi macht ebenso begeistert Fotos wie Andi. Nach seiner Aussage hat er dieses wolkenfreie Panorama selber noch nicht so häufig erlebt.
Letztlich brechen wir dann auf zu unserem nächsten Ziel des heutigen Tages, dem Everest Base Camp (E.B.C.) auf 5.200 Metern Höhe, in dessen Nähe wir auch übernachten wollen.
Als wir endlich im Auto sitzen merken wir, dass wir großen Hunger haben, denn gefrühstückt haben wir noch nicht. Es geht jetzt schnell den Pass hinab und noch einige Kilometer auf dem Friendship-Highway entlang, den wir nach kurzer Zeit verlassen und zum E.B.C. abbiegen. Wir fahren auf einer Schotterpiste ein trockenes Tal entlang nach Tashi Zom, einem kleinen Ort mit einem Guesthouse, wo wir eine Art Pancake aus Tsampa mit Tee zum Frühstück bekommen.
Nach der morgendlichen Stärkung geht es weiter und nach etwa zwei Stunden erreichen wir das Kloster Rongbuk, das höchstgelegene Kloster der Welt. Dort kann man in einer recht einfachen Unterkunft übernachten, aber wir wollen noch weiter hoch zu der kleinen Zeltstadt nur sechs Kilometer unterhalb des E.B.C.!
Als wir dort aus dem Auto steigen, spüre ich die Höhe. Ich bin sehr kurzatmig und bewege mich wie eine Schnecke. Nach einer leckeren Nudelsuppe in einem der Zelte, machen wir uns zu Fuß auf den Weg zum Everest Base Camp. Mit uns wandert Timor aus Leonberg. Timor und ich gehen ganz gemächlich. Trotzdem machen wir einige Pausen, da wir total außer Atem sind. Obwohl wir uns in den letzten Wochen die meiste Zeit in Höhen über 3.500 Metern aufgehalten haben, macht mir die Höhe zu schaffen. Nico und Nina hingegen sind sehr flott unterwegs. Sie scheinen die Höhe kaum zu merken.
Am Base Camp muss Tashi erneut Papierkram erledigen, was einige endlose Minuten lang dauert. Danach dürfen wir passieren, allerdings nur bis auf einen kleinen Hügel hinauf, von dem aus wir einen tollen Blick auf den Mt. Everest haben.
Zu unseren Füßen liegt der Platz, auf dem Expeditionen ihr Basislager aufschlagen - immerhin 5.250 Meter hoch! Die Bergsteiger sind aber bereits alle weg, da die Saison vorbei ist.
Wir genießen den atemberaubenden Blick auf den höchsten Berg der Welt, der zum Greifen nah ist. Näher werden wir an diesen Riesen nicht herankommen. Den Abstieg erspare ich mir und den Kids und wir fahren mit dem Pendelbus, der zwischen dem Zeltcamp und dem E.B.C. verkehrt. Andi wandert mit Timor zum Zeltcamp zurück.
Als wir gerade beschließen unsere Rucksäcke in eines der Zelte zu räumen, klagen beide Kinder über zunehmende, starke Kopfschmerzen. Wir überlegen was wir machen sollen. Höhenkrankheit muss man sehr ernst nehmen und das Einzige, das wirklich dagegen hilft ist, die Höhe zu verlassen und tiefer zu gehen. Tashi drängt auf eine Entscheidung. Wenn wir hinunter fahren, können wir das auf der Schotterpiste, die teilweise an Abgründen entlangführt nur bei Helligkeit sicher bewerkstelligen. Es ist schon fast 18.00 Uhr und die Sonne geht bald unter. Als zu den Kopfschmerzen auch noch Übelkeit hinzukommt, was als untrügliches Zeichen der Höhenkrankheit gilt, entschließen wir uns, nach Old Tingri abzufahren, das auf rund 4.400 Metern Höhe liegt.
Nico`s Kopfschmerzen und Übelkeit verstärken sich zunehmend. Die nächsten Stunden starren wir auf unser GPS, ab 300 Metern Höhenverlust müsste es besser werden. Unser Fahrer Tenzin macht einen super Job und wir fühlen uns trotz dieser unglaublichen Fahrt durch die Dunkelheit des Himalayas immer sicher.
Ab und zu drehe ich mich um und sehe den Mt. Everest im Licht des Vollmondes langsam verschwinden. Wir sind alle extrem angespannt. Nina geht es bald besser. Nico`s Schmerzen aber lassen erst nach, als wir etwa 600 Meter tiefer sind.
Um 22.30 Uhr kommen wir dann sicher in Old Tingri am Friendship-Highway an. Wir finden ein einfaches Guesthouse. Den Kindern geht es jetzt wieder gut. Sie sind zwar todmüde und gehen sofort ins Bett, aber die Kopfschmerzen und die Überlkeit sind weg, wir haben die richtige Entscheidung getroffen!
Ich entspanne mich erst bei einem Lhasa Beer und einer heißen Nudelsuppe. Dieses Mal stört mich auch nicht, dass unsere Unterkunft nicht viel mehr ist als eine Bretterbude und wir nur mit Schlafsack und jeder Menge Yakwoll-Decken schlafen können, dass es Wasser nur kochend heiß in einer Thermoskanne gibt und Toiletten eigentlich nicht vorhanden sind.
Aber dafür sehen wir im Mondlicht noch einmal ein unglaubliches, traumhaftes Bergpanorama!
Mittwoch, 12. Oktober 2011: Von Old Tingri nach Zhangmu
Wir fahren relativ spät los, da wir nach dem anstrengenden gestrigen Tag ein wenig länger geschlafen haben. Es gibt ein tibetisches Frühstück. Da wir Buttertee und Tsampa nicht ganz so gerne mögen, freuen wir uns über eine kräftige Nudelssuppe.
Heute ist der letzte Tag unserer Reise Richtung Nepal. Nach kurzer Zeit in einem fruchtbaren Tal lässt Tashi Tenzin plötzlich anhalten. An dieser Stelle sehen wir den Mt. Everest zum letzten Mal. Wir steigen aus und machen noch ein paar Abschiedsfotos.
Die Strasse über den Thongla Pass (5.300m) führt schnurgerade nach oben, das Panorama des Himalaya-Kamms taucht langsam am Horizont auf und wir fahren direkt darauf zu.
„Road to the sky“ nennt Tashi diesen Anblick - und er hat recht!
Danach geht es mehr als 3.000 Meter nach unten, also vom Schnee in den subtropische Regenwald.
Wir sind überwältigt von all dem Grün, dass uns umgibt, waren wir doch in den letzten Wochen im ariden Hochgebirgsklima Tibets unterwegs, das eher von Kargheit geprägt war. Das viele Wasser macht sich aber nicht nur durch vermehrte Vegetation bemerkbar sondern es hat immer wieder Erd- und Steinrutsche über die Straße gegeben, an einzelnen Stellen ist die Hälfte der Strasse abgerutscht.
Bereits mehrere Kilometer vor Zhangmu, dem Grenzort auf chinesischer Seite, ist die eine Fahrspur nicht mehr nutzbar, da nepalesische LKWs Schlange stehen. An manchen Stellen kommen wir sogar nur ganz knapp vorbei. War zuvor die Fahrtgeschwindigkeit aufgrund unser vielen Aussichts- und Fotostopps sehr niedrig gewesen, ist sie es nun wegen der beengten Straßenverhältnisse.
In Zhangmu angekommen, beziehen wir ein Hotel, dass so unappetitlich ist, dass wir zum ersten Mal die Betten neu beziehen lassen. Auch bei den Handtüchern sind wir uns nicht sicher wie viel Personen diese schon benutzt haben und verlangen ebenfalls Neue, wobei diese auch nicht besser aussehen und riechen. Eines ist sicher: die Hotels in China werden wir nicht vermissen!
Der Abschiedsabend mit Tashi und Tenzin wird dagegen richtig lustig. Tenzin isst wegen Nicos Überredungskünsten zum ersten Mal in seinem Leben eine Pizza. Dabei stellen wir fest, dass er auch noch nie mit Messer und Gabel gegessen hat.
Er macht es aber schon ganz gut, zumindest deutlich besser als ich beim ersten Mal mit Stäbchen. Die letzte Nacht in Tibet schlafen wir alle trotz der Unterkunft sehr gut.
Eine wunderbarer Teil unserer Reise geht zu Ende!